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Aspekte und Symbole des HEROS-Prinzips
Unsere erste heroische Tat, unser erster und größter und alles entscheidender Heldenkampf ist unser Wettlauf gegen Millionen anderer Spermien gewesen. Wir haben vor all diesen vielen anderen Spermien unser Ziel erreicht, wir wurden von der weiblichen Eizelle (die selbst eine von vielen Auserwählten aus der ursprünglichen Vielzahl vieler konkurrierender Eizellen ist) "auserkoren", wir konnten mit ihr das Mysterium coniunctionis, das Geheimnis der Vereinigung der Gegensätze feiern. Alle, die wir dies geschafft haben, sind in gewissem Sinne Helden und Heldinnen, wir haben bewiesen, dass wir uns gegen eine übermächtige Konkurrenz durchsetzen konnten. Wir alle sind "winner". Auch die Geburt selbst war eine geradezu klassische heroische Stirb-und-Werde-Situation, ein Heldenkampf aus dem umhüllenden Gefängnis in die Freiheit, durch die Dunkelheit zum Licht. Wir sind von allem Anfang an Wesen, die sich selbst nicht kennen und in eine unbekannte Welt hineingeboren werden. In unseren Genen tragen wir zwar die Essenz des ganzen Universums und des ganzen evolutionären Prozess, aber wir wissen nichts von unserer kosmischen Herkunft und Vergangenheit. Wir sind wie "Aliens", Fremde aus dem Universum, die irgendwie auf dieser Erde gestrandet sind. Auch nach unserer Geburt müssen wir unzählige weitere heroische Leistungen vollbringen, unzählige Drachenkämpfe durchstehen. Wir müssen uns bewegen, stehen, laufen lernen, trotzen, rivalisieren, kämpfen, aggressiv sein, erforschen, erobern, lernen, leisten, Rückschläge und Niederlagen erleiden, Schmerz aushalten, Prüfungen bestehen, erfolgreich sein, uns selbst behaupten. Wir fühlen uns dabei oft einsam, unverstanden und fremden Mächten hilflos ausgeliefert. Überall müssen wir die Unsicherheit und das Risiko des Lebens alleine tragen und dabei haben wir immer unseren Tod vor Augen. Wie könnten wir das alles, wenn es nicht die Kraft des Helden und der Heldin in uns gäbe, die uns Zuversicht und Trost vermitteln? Das ganze Leben ist im Grunde eine kontinuierliche Heldenreise. Von daher ist es verständlich, dass der HEROS die Menschen aller Kulturen und aller Zeiten immer aufs Höchste fasziniert hat. Ob in den alten Mythen, Sagen und Märchen, ob in der Literatur und den Filmen der Gegenwart, in der Religion, der bildenden Kunst, der Geschichte, der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft, dem Sport: immer steht der Mensch im Mittelpunkt, der "es wagt", der das Neue, Außergewöhnliche tut und es dabei riskiert, bis an die äußersten Grenzen zu gehen. Der positive Held und die positive Heldin repräsentieren den vorbildlichen schöpferischen Menschen. Sie symbolisieren den Menschen, der den Mut hat, sich selbst, seinen Wünschen, Phantasien und eigenen Wertvorstellungen treu zu sein, der das Leben leidenschaftlich lebt, anstatt vor ihm zu fliehen, der Wege einschlägt, die wir einerseits fürchten, andererseits insgeheim aber auch gerne gehen würden: Wege in verborgene, verbotene, schwer zugängliche Seinsbereiche, handele es sich dabei um neue Lebensformen, fremde Länder oder ferne Galaxien oder um die Unbekanntheit unserer Seele. Indem der heroische Mensch sich weder von den Warnungen anderer, noch von seinen eigenen Ängsten und Schuldgefühlen von seinem Vorhaben abbringen lässt, offen und lernbereit ist, Konflikte, Frustrationen, Einsamkeit und Ablehnung auszuhalten vermag, gewinnt er neue Einsichten und vollzieht Handlungen, die nicht nur für ihn, sondern auch für die Gesellschaft von verändernder Kraft sein können. Der Weg des Helden und die mit ihm verbundenen Ereignisse und Symbole sind uns so vertraut, weil sie das instinktiv von uns gewusste oder erahnte Muster des "richtigen und guten" Lebensweges darstellen. Wir spüren es sehr deutlich und empfinden es als unbefriedigend, wenn uns eine Erzählung oder ein Film wesentliche Elemente des Heldenweges vorenthält. Beispielsweise haben wir meist große Schwierigkeiten damit, wenn die Hauptperson eines Stückes ein "Looser", ein Verlierer, ist, der seine Aufgabe nicht erfüllt und scheitert. Noch schlimmer wird es, wenn der Held nicht das Wahre, Gute und Schöne vertritt, sondern die Täuschung, das Böse und Hässliche, oder wenn er sich am Ende als ein Übeltäter entpuppt. Unzufrieden sind wir auch, wenn der Held am Ende nicht auch seine Heldin bekommt oder nicht zumindest eine gewisse Hoffnung bleibt, dass sie sich finden werden. Natürlich hat der HEROS - das sei hier schon vorwegnehmend betont - auch sehr destruktive Seiten, wie wir es aus der Menschheitsgeschichte zum Übermaß kennen, nämlich dann, wenn sich der Schatten des Heroisch-Übermenschlichen als blinder Größenwahn und missionarischer Eifer, als Unterdrückungs- und Machtgier und als Egoismus, Intoleranz, Grausamkeit, Gewalttätigkeit und kriegerische Zerstörung über Völker und Kulturen legt. Umgekehrt hat aber das Fehlen positiver heroischer Vorbilder auch sehr negative Wirkungen. Wenn motivierende konstruktive Leitbilder abhanden kommen, machen sich Orientierungslosigkeit, Sinnlosigkeit und Anarchismus breit. Langweile, Sucht, Lust an Brutalität und Untergangsphantasien drücken das verzweifelte Lebensgefühl von Menschen aus, die nicht mehr mit ihrem schöpferischen Entwicklungspotential und ihrer aktiven Gestaltungsfreude in Verbindung stehen. Gerade auch in Zeiten der Krise und Not, in denen eine Neuorientierung nötig ist, braucht es den HEROS, der Trägheit und Resignation überwindet und bereit ist, für ein höheres Ziel zu kämpfen. Der aufwärts gerichtete Pfeil: Aufbruch in die ZukunftWenn man Menschen bittet, sie sollten eine Geste machen, die sie typisch für das Heldenhafte finden, dann stoßen sie oft ihren Arm mit geballter Faust nach vorne. Diese phallisch-aggressive Bewegung, die sich auch im Pfeilsymbol ausdrückt, weist auf die typische heroische Dynamik von der Vergangenheit in die Zukunft, von hinten nach vorn, vom Unteren, "Niederen" zum Oberen, "Höheren" auf ein bestimmtes Ziel zu. Als "zielstrebige, kämpferische, zukunftsorientierte Handlung und Tatkraft" könnte man diese Dynamik zusammenfassen. Immer geht es beim Helden darum, sich aus der Bindung und Gefangenschaft von etwas Altem, Vergangenen, Überholten zu befreien und sich mit Lust und Leidenschaft auf etwas Neues hinzubewegen. Wer vom Ziel nicht weiß, Christian Morgenstern[2] Der Phallus: Die Ekstase der EigenständigkeitDer aufwärts gerichtete Pfeil ist natürlich auch ein Phallus und das Neue ist natürlich auch ein Sexualpartner, den es zu "erobern" gilt. Die sexuelle Symbolik in ihren elementaren und differenzierten, ihren biologischen wie geistigen Aspekten ist ja, wie wir auch beim EROS sehen werden, vermutlich die urtümlichste und umfassendste, die wir kennen, denn in ihr spiegelt sich der ganze Schöpfungsprozess. So ist es nur natürlich, dass alle wesentlichen Bereiche des Lebens in irgendeiner Weise auch mit sexueller Symbolik verbunden sind. Allerdings darf diese nicht auf die biologische Seite der Sexualität reduziert werden, denn hinter ihr steht etwas Allgemeineres, Grundsätzlicheres - eben das Schöpferische - das sich auch, aber keineswegs nur in der Sexualität offenbart. So geht auch der Phallus in seiner symbolischen Bedeutung weit über den bekannten biologischen Fruchtbarkeits-Aspekt hinaus. Erst seine anderen Bedeutungen machen verständlich, wieso er auf Männer wie auf Frauen eine solche Faszination ausüben kann. In seinen Eigenschaften und seinem Eigen-Sinn scheint der Phallus das Heroische direkt abzubilden: Sehnige Kraft, Stärke, Härte, Entschlossenheit, Autonomie, Selbständigkeit, Standfestigkeit, Eindringungsvermögen, pulsierende Lebenskraft, Intensität, Explosivität, ekstatische Leidenschaft. Die Faszination am Phallus ist eine Faszination an diesem intensiven Lebensausdruck, den wir nicht nur gelegentlich in der Sexualität, sondern überhaupt im Leben erfahren möchten.
Abb.: PhallusSeine Fähigkeit, sich aufzurichten und offensichtlich hinzustellen, lässt darüber hinaus das ganze symbolische Umfeld des "Sich-Aufrichtens" anklingen. Die aufrechte Haltung des Menschen hat sehr viel mit seinem Ich-Bewusstsein (vgl. LOGOS, bei dem die Richtung nach oben und das Obere als der Himmel, das Licht und das erkennende Bewusstsein auch eine zentrale Rolle spielen), seinem Selbstvertrauen, seiner Identität und seiner Fähigkeit zu Willenshandlungen zu tun. Indem sich das kleine Kind aufzurichten beginnt, vollzieht es für sich in wenigen Monaten eine welt- und bewusstseinsschöpferische Tat, für die der evolutionäre Prozess Hunderttausende von Jahren benötigt hat. Das Sich-Aufrichten vermittelt ein euphorisches, triumphales Gefühl von Übersicht, Potenz, Beweglichkeit und Macht. Wenn ein Mensch in späteren Jahren als Sieger auf einem Podest steht und seine Arme weit nach oben ausbreitet, dann zeigt er diese elementare Ekstase des Aufrichtens und des Stolzes "Seht her wie großartig ich bin! Bin ich nicht der Größte?" Der Phallus vermittelt uns die fundamentale Formel des HEROS: "Ich bin, der ich bin". Er ermutigt uns zu dem Wagnis, "aufrichtig" zu uns selbst, unseren Gefühlen, Wünschen und Gedanken "zu stehen" und sich leidenschaftlich für ihre Realisierung einzusetzen. Aber sich so zu verhalten ist ein ständiges Wagnis und Risiko. Unvermeidlich ist damit verbunden, dass wir in Widerspruch geraten zu den Vorstellungen unserer Mitmenschen über uns, zu unseren eigenen Vorstellungen darüber, wie wir eigentlich sein sollten, und zu unseren Bedürfnissen nach Geborgenheit und Aufgehobensein in mitmenschlichen Beziehungen. Die Angst vor diesen Konflikten lässt viele Menschen schon vor den ersten Etappen des Heldenweges zurückschrecken und in einer unfruchtbaren Anpassung verharren. Damit aber werden sie nie jenes beglückende Gefühl des "Ich bin, der ich bin" erleben, das unser Geburtsrecht ist. Die Heldenreise: Das Leben ist ein AbenteuerDie mit dem Leben und der seelischen Reifung verbundenen Herausforderungen, Konflikte und Erfahrungen sind für alle Menschen weitgehend ähnlich. Deswegen weisen auch die Heldengeschichten in den verschiedenen Kulturen durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte viele Gemeinsamkeiten auf, die von verschiedenen Forschern erkannt und herausgearbeitet wurden.[3] Das heroische Kind in unsDer Held/die Heldin haben meist göttliche oder königliche und normal-menschliche Eltern zugleich. Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit stehen unter großer Belastung. Manchmal sind die Eltern zunächst unfruchtbar, manchmal sind die Kinder von Anfang an unerwünscht, ihre Geburt muss an heimlichem Ort stattfinden, sie sollen getötet werden und werden ausgesetzt, von Adoptiveltern oder Tieren aufgezogen. Einerseits sind sie königlich-göttlicher Herkunft, andererseits erleben sie das Leid des ausgestoßenen, verlassenen Kindes. Sie sind mächtig und hilflos zugleich. Jeder, der das Heroische in sich wieder finden will, wird sich auch mit seinem "inneren Kind" auseinander setzen müssen, denn oft haben wir die heroische Kraft in unserer Kindheit am intensivsten gefühlt. Wir müssen uns diese Fähigkeit des leidenschaftlich Wünschens und Wollens erst wieder erwecken. Am Anfang unseres Lebens sind wir noch voller Kraft, voller Lebensfreude, voller Begeisterungsfähigkeit. In uns brennt das ekstatische Lebensfeuer des Universums noch in hoher Intensität. Wir sind erfüllt von Lebenslust, Neugier und von unbändigem Drang zur Selbstverwirklichung. Nichts befriedigt uns mehr, als die Welt, unsere Mitmenschen und uns selbst zu erkunden und immer mehr zu lernen, unsere angeborenen Fähigkeiten anzuwenden. Oft hatten wir aber keine Eltern, keine Großeltern, keine Erzieher und Lehrer, die uns halfen, das Staunen über das Mysterium des Lebens, das wir in uns tragen, zu vertiefen. Stattdessen wurden wir überwiegend auf das Fehlerhafte aufmerksam gemacht. So vieles, was wir taten, wurde belastet von Schuld- und Schamgefühlen und immer wieder verglichen mit Fremd- und Ideal-Vorstellungen, die keiner erfüllen konnte. Schließlich verloren viele von uns ihren Mut und ihre ungehemmte Freude an ihrer schöpferischen Kraft. Die Begegnung mit unserem inneren Kind ist nicht einfach für uns, weil wir dabei mit intensiven Gefühlen konfrontiert werden: mit heißen Sehnsüchten, mit großer Angst, mit Schmerz und Trauer und vor allem mit Scham. Die Scham, die wir empfinden, wenn wir in Berührung mit den Gefühlen und Wünschen unseres inneren Kindes kommen, macht es uns oft sehr schwer, unsere heroische Begeisterungsfähigkeit und Tatkraft zu erwecken. Wir wehren uns verzweifelt, nichts von unseren vermeintlich "schwachen" Gefühlen zu zeigen. Wir wollen unsere Sehnsucht nach liebevoller Bestätigung und Bewunderung, unsere Verletzlichkeit und unsere Empfindlichkeit nicht offenbaren. Wir haben Angst vor den innigen, weichen, warmen Gefühlen, die uns überkommen könnten, vor den Tränen, die vielleicht fließen würden, vor unserer Rührung und Trauer, aber auch vor den ekstatischen Reaktionen, vor all den "sentimentalen" Gefühlen, der "Gefühlsduselei". Wir verbergen sie stattdessen hinter Ernsthaftigkeit, Verantwortlichkeit und Pflicht, hinter Neid, Verbitterung, Rachegefühlen, Aggressionen, Vorwürfen, Streitereien, Rivalitäten. Aber wenn wir gelernt haben, das innere Kind in uns und in anderen Menschen zu sehen, dann wissen wir, dass hinter all diesen "erwachsenen" Haltungen und hinter all den negativen, zerstörerischen Impulsen häufig der tiefe Wunsch steht, sich in freier Weise ganz entfalten zu können und in unserer persönlichen Eigenart ganz angenommen zu werden. Es besteht aber andererseits auch die Gefahr, dass wir in der Begegnung mit dem Kind in uns in einer bestimmten Haltung stecken bleiben. Unser inneres Kind, das uns einerseits so viel Neugier und Experimentierfreude vermitteln kann, hat auch einige Schattenseiten, die uns es sehr schwer machen können, uns und unsrer Vision treu zu sein: z.B. übermäßige Ängstlichkeit, Bequemlichkeit, und Verharren in magischen Größenphantasien. Wenn es in seinen Bemühungen frustriert wird, zieht es sich manchmal enttäuscht zurück und will alle Schwierigkeiten des Lebens seinen Eltern überlassen. Es liebt seine Größenphantasien und Wunschträume, will aber nichts dafür tun, sondern hofft auf deren einfache, magische Erfüllung. Viele Menschen, die ein unbefriedigtes Leben führen, verharren in einer vorwurfsvollen Einstellung den Eltern oder dem Schicksal gegenüber. Manche wiederholen jahre- und jahrzehntelang ihre ewig gleichen kindlichen Vorwürfe und Klagen, ohne dass sie beginnen, für ihr Leben selbst leidenschaftlich die Verantwortung zu übernehmen. Dafür ist es nämlich nötig, über die passiven Erwartungshaltungen und Enttäuschungen des Kindes hinauszugehen und zum "göttlichen Kind" zu finden, jener Lebenskraft, die trotz aller Schwierigkeiten dem Leben ein großes "Ja" entgegenruft. Für dieses "göttliche Kind" haben wir selbst eine fürsorgliche Elternschaft zu übernehmen. Darüber hinaus erinnern uns die Helden-Mythen daran, dass wir neben unseren persönlichen Eltern auch noch göttliche Eltern haben, nämlich jene evolutionären Energien und Kräfte, die durch unsere leiblichen Eltern, Großeltern und die ganze menschliche Ahnenreihe hindurch wirken und die uns auch jetzt noch auf unserem Lebensweg begleiten als die "Große Mutter" und der "Große Vater" in der Tiefe unserer Seele. An diese Kräfte - unsere eigentlichen Eltern - können wir uns immer vertrauensvoll wenden, wenn wir einmal nicht weiter wissen. Früh übt sich, was ein Meister werden willIn ihrer Jugend offenbaren die Helden schon bald besondere Kräfte, Fähigkeiten und Talente. Hervorragende LehrmeisterInnen helfen ihnen, ihre Fertigkeiten und Kenntnisse zu vervollkommnen. Auch wir besitzen ganz besondere Fähigkeiten und Begabungen, die nur wir in dieser Weise, zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort haben. Diese natürlichen Gaben (wieder-) zu entdecken und zu fördern ist eine der wichtigsten Aufgaben jeder Selbsterfahrung und Therapie. Immer wieder müssen wir uns dort mit der Frage auseinander setzen: "Was will ich eigentlich wirklich?", "Was kann ich ganz besonders gut und auf welche Weise bringe ich dies zum Ausdruck?" "Welche Tätigkeiten fallen mir leicht und machen mir spontan Freude?" Viele Helden haben eine ausgeprägte Bereitschaft, ausdauernd zu üben und zu lernen. Damit zeigen sie eine unserer besten menschlichen Fähigkeiten, die Fähigkeit, Interesse zu zeigen, sich Neues anzueignen, Zusammenhänge zu verstehen. Wir können sie uns zum Vorbild nehmen, immer wieder wir mit offenen Augen und Ohren, mit all unseren Sinnen und mit unserem ganzen Herzen an neue Situationen heran zu gehen und uns immer wieder zu fragen: "Was ist denn das?", "Wie kann ich das verstehen?", "Wozu kann man es verwenden?". Viele von uns schämen sich, sich so offen und neugierig zu zeigen. Wir fürchten, die anderen könnten uns für naiv, dumm, und unwissend halten. Deshalb ist es wichtig, sich klarzumachen, dass wir alle nur sehr, sehr wenig wissen, dass das Leben sehr kurz ist und wir niemals sicher sein können, ob wir noch einmal in unserem Leben die Chance haben werden, das zu erfahren, was wir jetzt erfahren können. Auch wenn wir nicht morgen sterben: Morgen kann alles anders sein und es kann zu spät sein, die Dinge zu tun, die wir eigentlich erleben, sagen und tun wollten. Die Waffen des HeldenDie Helden erwerben dann ihre persönlichen Waffen, die meist von besonderer Qualität und Herkunft sind. Dies symbolisiert, dass die Helden neben ihren natürlichen Begabungen bereit sind, bestimmte psychische Eigenschaften, wie z.B. Ausdauer, Willensstärke, Zielstrebigkeit, Entscheidungsfähigkeit, konstruktive Aggressivität (aggredi = heranschreiten) zu trainieren. Die typischen Waffen der Helden, wie Keule, Messer, Schwert, Pfeil und Bogen, Lanze, Speer, aber auch Pistole und Gewehr, nehmen an der bereits besprochenen Symbolik des Phallischen teil und verändern sie in der einen oder anderen Richtung. Pfeil und Bogen zum Beispiel - eine sehr einfache und äußerlich unscheinbare Konstruktion - ergeben zusammen eine magisch-unheimliche Waffe. Die Spann-Kraft des Bogens verbindet sich mit der leichten Beweglichkeit des Pfeils zu einer machtvollen Einheit. Aus sicherer Entfernung das Wild zu erlegen oder den bedrohlichen Feind töten zu können, das ist für den Menschen seit alters eine faszinierende Vorstellung und hat ihren vorläufigen Höhepunkt in Pistole, Gewehr und ferngelenkten Raketen gefunden. Dass solche phallischen Geräte wie Raketen sowohl der globalen Zerstörung, als auch der weltumspannenden Kommunikation (indem sie Satelliten in den Weltraum bringen) oder auch der Erforschung fremder Bereiche dienen können, zeigt noch einmal die immense ambivalente, schöpferisch-destruktive Kraft, die im heroischen Prinzip enthalten ist. Dieser Doppelcharakter wird auch besonders in asiatischen Kulturen deutlich, wo verschiedene Kampfsportarten wie Aikido, Jiu-Jitsu, Karate, Kendo, Tai-Chi, das Bogenschießen oder der Schwerterkampf zur Übung kämpferischer Fähigkeiten wie auch als Mittel der Zentrierung auf die eigene Mitte genutzt werden. "Dem klugen Schützen gleicht der höhere Mensch. Verfehlt dieser sein Ziel, so wendet er sich ab und sucht die Ursache seines Fehlschusses in sich selbst." (Konfuzius) Das Schwert: Die Kraft der EntscheidungDas Schwert besitzt in den verschiedenen Heldenerzählungen meist eine ganz herausragende Bedeutung. Oft ist es golden, mit einer Inschrift versehen und am Griff mit magischen Edelsteinen verziert. Wie eine schwer erreichbare Kostbarkeit wird es manchmal erst nach langer Suche an verborgenem Ort gefunden. Es besitzt übernatürliche Kräfte und Weisheit; es hat einen eigenen Namen, kennt seinen rechtmäßigen Besitzer und macht ihn unbesiegbar. Der besondere Wert des Schwertes liegt wohl darin, dass es die wesentlichen "magischen" Qualitäten von Stab, Keule und Lanze in sich vereint, noch um die Kraft des Schneidens, Teilens und Trennens erweitert. Es ist so etwas wie die "Quintessenz" dieser Waffen. Seine symbolische Bedeutung reicht von elementarer heroischer Kampfeslust bis hinein in den Bereich des LOGOS, wo es Gerechtigkeit, Klarheit, Objektivität und Erkenntnis darstellen kann. Die menschliche Bewusstseins- und Identitätsentwicklung ist, wie wir schon beim Kind deutlich beobachten können, auf "aggressive" Handlungen wie Abgrenzung, Loslösung, Trennung, Durchsetzung eigenen Willens und Widerstand (Trotz) angewiesen. Das Kind übt seine Ich-Kräfte lange Zeit mit recht primitiven Mitteln. Es hat Jähzorns-Anfälle, kann in seiner Wut alles um sich zerstören und kennt wenig Skrupel, Vater und Mutter kurzfristig "sterben" zu lassen. Wenn es gute Lehrmeister hat, dann wird das Kind im Laufe seiner Kindheit und Jugend lernen, seine aggressive Durchsetzungsfähigkeit immer geschickter zu handhaben, und es wird sich schließlich auf diese Weise sein eigenes Schwert schmieden. Es wird damit immer besser unterscheiden können, was innen und außen, was mein und dein und was gut und böse ist. Sein Bewusstsein von sich selbst und der Welt wird durch diese Fähigkeiten vertrauensvoll, optimistisch und realistisch sein. Aufgrund der Tatsache, dass menschliches Bewusstsein auf der Unterscheidung und der Teilung in polare Positionen verbunden ist (vgl. auch LOGOS), lässt sich das Schwert auch als ein Symbol des klaren Denkens und des gerechten Bewusstseins auffassen. Ohne eine gut ausgebildete Fähigkeit zur denkerischen Unterscheidung bestünde unser Leben aus einem hoffnungslos verworrenen Knäuel verschwommener Wahrnehmungen, widersprüchlicher Gefühle und Bedürfnisse, unrealistischer Ideen und zerfahrener Gedanken. Unser Dasein gliche einem Labyrinth, durch das wir ziellos umherirrten, oder einem dunklen Chaos, dem das Licht der ordnenden Erkenntnis fehlte. Mit dieser Fähigkeit zur Unter-Scheidung ist sehr eng auch die Fähigkeit zur tatkräftigen Ent-Scheidung verbunden. Entscheiden kann sich nur, wer verschiedene Alternativen unterscheiden und bewerten kann. Das Schwert ist somit auch ein Symbol für tatkräftige Entscheidungsfähigkeit, Entschlossenheit, Mut und Initiative. Ein Mann hat folgenden Traum: „Ich habe ein Schwert in der Hand und beobachte zwei andere Männer, die miteinander mit Schwertern kämpfen. Ich stehe mit dem Schwert daneben, halte es einfach in der Hand. Ein Mann sagt zu mir: So mit dem Schwert nur dazustehen, das bringt nichts. Man muss auch damit umgehen. Er zeigt mir die ersten Bewegungen.“ Der Träumer ist ein Mann von ruhigem, zurückhaltendem Wesen. Als Kind wollte er immer anständig und sauber sein, er glaubte: Gott sieht alles. Er habe schon immer Schwierigkeiten gehabt, aggressiv zu sein, was durch sein Theologiestudium noch weiter erschwert wurde. Er leidet daran, dass er nicht recht weiß, was er eigentlich für sich wirklich will und wie er seine Ziele ausdauernd verfolgen kann. Oft ist er unsicher, ob seine Entscheidungen richtig sind. Er hat das Gefühl, nur aus 30% seiner Kraft heraus zu leben, "nicht aus dem Vollen zu schöpfen". Was ihm seine innere Weisheit im Traum vermittelte, ist für viele Menschen ebenso wichtig: Sich im Umgang mit dem Schwert der Wehrhaftigkeit und Selbstbehauptung, der schöpferischen Aggressivität und Autonomie und der Konzentration und Entschlusskraft zu üben, damit wir unsere wahren Lebensziele und unsere Identität finden und zu sichern vermögen. Die treuen Tierbegleiter des HeldenHäufig finden die Helden auch ein treues Begleittier - meist Pferd, Hund oder Vogel -, das sich durch besondere Klugheit, Instinktsicherheit, Treue und Kraft auszeichnet. Diese besonderen Tiere der Helden symbolisieren nicht nur deren eigene körperliche Gesundheit, Vitalität, Stärke und Gewandtheit, sondern überhaupt ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zu den körperlichen Bedürfnissen, Instinkten und Reaktionen. Indem die Helden diese Tiere zähmen, lernen sie, auf die instinktive Weisheit ihres Körpers und ihrer biologischen Natur zu hören. Sie lernen, ihre wilden, archaischen, animalischen Seiten - z.B. starke, ungebändigte Gier, Aggressionen, Sexualität, Affekte etc. so zu lenken, dass sie nicht destruktiv werden, sondern sich dem Ziel der Helden - der Selbst-Findung - unterordnen und mit ihnen kooperieren. Der AuftragNachdem sich die Helden ausreichend gut vorbereitet haben, erhalten sie ihren höheren Auftrag, bei dem es sich um eine kollektive Not handeln kann oder um eine innere Berufung oder Vision. Nach anfänglichen Widerständen, die sich in eigener Angst, Unlust oder in der Warnung durch andere Menschen zeigen, machen sie sich auf den Weg. Bis sie zum eigentlichen Ziel kommen, müssen sie eine Reihe von Nebenabenteuern bestehen. Zum Beispiel begegnen sie anderen, zunächst feindlichen Helden, mit denen sie sich auseinander setzen müssen und die sich als ebenbürtig herausstellen. Manchmal verbinden sie sich mit diesen in Freundschaft. Es geht hierbei unter anderem darum, Rivalität und Wettbewerb auszuhalten und ein Gefühl für Gemeinschaft und Solidarität zu entwickeln. Häufig handelt es sich bei diesen anderen Gestalten um eigene Schattenaspekte, die die Helden zunächst integrieren müssen, z.B. Neigung zu Arroganz, Überheblichkeit, Machtstreben, unangemessenen Größenwahn oder Gewalttätigkeit. Der Abstieg in die UnterweltDie eigentliche Aufgabe führt sie über eine Schwelle in unbekannte, fremde Bereiche. Es handelt sich meist um einen verborgenen, schwer zugänglichen Ort handeln, wo eine unheimliche, bedrohliche Macht wirkt. Sehr oft ist dieser Ort "unten" angesiedelt. Unter psychologischem Aspekt meint dies die unbekannte unbewusste Tiefendimension unserer Seele. Vor dem Abstieg in die Unterwelt der eigenen Persönlichkeit haben wir oft große Angst. Dort stößt man nämlich zuerst auf das Dunkle, auf den Schatten, auf das Menschlich-Allzumensch-liche und die Natur und Triebseiten unseres Wesens. In der Begegnung mit unserer Unterwelt drohen Schmerzen und Leiden, die Erfahrung eigener Sinnlosigkeit und Leere, infantiler Abhängigkeit und Hilflosigkeit, aber auch das Erleben von kaum beherrschbarer Aggression und Destruktion. In unseren Träumen und Phantasien fließt das Blut, wird zerstückelt und zerhackt, verführt und vergewaltigt, werden Inzeste vollzogen, tauchen unerträglich blamable Erinnerungen auf, man schämt sich wegen seiner Überheblichkeiten und Eitelkeiten, wegen seiner Kleinheit und Schwächlichkeit. Schließlich befürchten wir auch die Auflösung der Persönlichkeit und den "Ich-Tod". Diese dunklen, ängstigenden Erfahrungen schrecken die meisten Menschen auf dem Wege zu sich selbst ab. Sie möchten sich stattdessen am liebsten mit Hilfe transpersonaler Verfahren sogleich nach "oben" gen Himmel schwingen und verleugnen dabei doch nur einen wesentlichen Aspekt von sich selbst. Der Drachenkampf: Vorstoßen ins Zentrum der existenziellen AngstIn Mythen und Märchen wird unsere Angst vor dem bedrohlichen Unbekannten häufig durch eine drachenähnliche Figur dargestellt. Der Drache ist ein äußerst vieldeutiges, archaisches Symbol. Deshalb lässt er sich auf die unterschiedlichsten Mächte, die dem Menschen als gefährliches und lebenshemmendes Problem erscheinen, beziehen: beispielsweise auf die Naturgewalten, ein schweres Lebensschicksal, gefangensetzenden Bann der Eltern, auf das Unbekannte, Dunkle und Böse in der Menschheit oder in der eigenen Seele oder auf den Tod.
Abb.: DrachenkampfWenn wir uns vor Augen führen, was in den Bildern der Vergangenheit und Gegenwart assoziativ alles mit dem Drachen verbunden wird: Leere, Abgrund, Tiefe, Chaos, Dunkelheit, Katastrophen, Weltuntergang, tödliche, verschlingende Bedrohung, ekel- und schreckenerregende Gestalt, Gift, Feuer und Lava, dann sehen wir, dass er eine Projektionsgestalt der Menschheit für ihr Grundgefühl der dauernden Gefährdung sowohl in der Außenwelt wie auch in der psychophysischen Innenwelt ist. Im Drachen hat sich alles in einer Gestalt verbildlicht und verdichtet, was der Mensch sich als Ausdruck seiner existentiellen Ängste vorstellen konnte. Deshalb weisen auch andere schreckenerregende Gestalten der menschlichen Phantasie, die Dämonen, Teufel, Hexen, böse Gottheiten, die Horrorfiguren und Ungeheuer, die Aliens aus dem Weltall, meist enge Parallelen zum Drachenbild auf. Diese Ängste und Gefährdungen des Lebens, die sich in allen Zeiten und in allen Kulturen in ähnlichen bildhaften Gestalten dargestellt haben, sind allgemein-menschliche Grunderfahrungen. Leicht lässt sich zeigen, dass auch unsere Phantasie ganz ähnliche drachenartige Bilder spontan hervorbringt, wenn wir uns in entsprechenden archetypischen Konfliktsituationen befinden. Dabei greift sie manchmal auf richtige archaische Drachengestalten zurück, manchmal passt sie sich aber auch den Entwicklungen des technischen Zeitalters an. Panzer, die durch das Dickicht brechen, Dampflokomotiven, die rauchend und schnaufend aus der Höhle des Tunnels hervorkommen, Tiefflieger, die mit mörderischem Lärm über unsere Köpfe hinwegfauchen, können in unseren Träumen bedrohlich erscheinende Energien symbolisieren. In modernen Action- und Katastrophenfilmen erscheint der Drache oft als Drohung einer globalen Vernichtung, die durch den Helden in letzter Sekunde verhindert wird. Die "Drachenhöhle" ist dann manchmal ein gigantischer, futuristischer, geheimer Ort unter der Erde, unter dem Wasser oder auch im Weltall, wo das Zentrum der bösen Macht wohnt. Die Bedrohung kann aber auch von Meteoren, Vulkanen, Flutwellen, Wirbelstürmen, Erdbeben und nicht zuletzt von dem Ungeheuer Godzilla, einem Symbol der sich rächenden, entfesselnden Naturmacht, ausgehen. Aber auch das "gewöhnliche" Leben führt den Menschen in den verschiedenen Altersstufen immer wieder vor neue, unbekannte Situationen, die ihm Angst machen und in denen er sein Scheitern befürchtet: Schule, Prüfungen, Beziehungen zu andern Menschen und zum anderen, fremden Geschlecht, Sexualität, Beruf, Geburt eigener Kinder, Älterwerden, Trennungen, Krankheiten, Unfälle, Tod. Hinter diesen bedrohlichen Situationen scheint der große Drache zu lauern, der uns zu verschlingen droht, der das orientierende Licht unseres Bewusstseins verdunkelt, unsere Handlungsfähigkeit hemmt und unseren Lebenssinn zerstört. Glücklicherweise ist der Drache aber manchmal nur deshalb so gefährlich, weil wir vor ihm fliehen. Hinter dem, was wir als Chaos, Unbekanntes und Fremdes fürchten, können häufig auch neue Entwicklungsmöglichkeiten stehen, latente, unbewusste Aspekte unseres Selbst, die wir uns noch nicht vertraut gemacht haben. Früher malte man auf den Landkarten an den Grenzen, wo das noch unerforschte Gebiet begann, einen Drachen. Man sagte gewissermaßen: Das ist gefährliches, fremdes Gebiet, hier hausen Drachen, deshalb wird es nicht weiter erkundet. Aber die Heldenerzählungen ermutigen dazu, uns der Angst vor dem Neuen und Unbekannten zu stellen und den Drachenkampf immer wieder zu wagen, damit das Hemmende überwunden, das Neue gefunden werden und das Leben weitergehen kann. Drachenkampf heißt vor allem Angstüberwindung. Angstüberwindung vor dem Leben draußen, Angstüberwindung vor dem Leben innen, dem unbekannten Leben in unserer unbewussten Seele. Allerdings legt uns das Wort "Kampf" nahe, mehr an besiegen und töten zu denken als an überwinden und integrieren. Ängste aber sind natürliche, menschliche Reaktionen, die wir zur gesunden Lebensorientierung brauchen. Der beste Umgang mit ihnen ist deshalb nicht ihre Unterdrückung oder Abtötung, sondern ihr Zulassen, die aktive Auseinandersetzung mit ihnen. Die Psychologie hat viele Methoden dafür entwickelt, was wir tun können, wenn wir vor etwas Angst haben. Vor allem hilft uns natürlich das offene und ehrliche Gespräch mit einem anderen Menschen, dem wir unsere Ängste anvertrauen und der bereit ist, ihnen mit uns gemeinsam "ins Auge zu schauen". Allein die Erfahrung des An- und Aussprechens der Angst ist meist schon sehr hilfreich. Außerdem erleben wir dann meist auch, dass der andere Mensch die Situation nicht ganz so bedrohlich empfindet, wie wir selbst. Das beruhigt uns und hilft uns, Abstand zu gewinnen. Wenn wir keinen Menschen haben, mit dem wir sprechen können, können wir allein versuchen, uns der Angst zu stellen: Wir setzen uns in einen ruhigen Raum, in dem wir nicht gestört werden, entspannen uns - vielleicht mit der Unterstützung bei leiser Musik - und nähern uns unserer Angst, "dem Drachen", ganz vorsichtig. Wir erkunden sie. Wir bewegen uns um die Angst herum, bis wir immer deutlicher spüren, was in ihrem Zentrum ist. Wir fragen uns, wovor wir eigentlich wirklich Angst haben, geben dieser vielleicht "namenlosen" Angst einen Namen und phantasieren uns aus, was denn schlimmstenfalls passieren könnte. Indem wir gerade das Schlimmste in unserer Vorstellung zulassen und immer wieder von allen Seiten ruhig betrachten, darüber nachdenken, es niederschreiben, malen oder künstlerisch gestalten, gewöhnen wir uns an die befürchtete Situation. Durch die entspannte, distanzierte Betrachtung wird die Angst allmählich geringer, so dass wir es wagen, uns andere Verhaltensweisen als Flucht oder Erstarrung auszudenken und auszuprobieren. Natürlich muss man dabei in kleinen, bewältigbaren Schritten vorgehen, also sich nur mit solchen Ängsten beschäftigen, die man noch aushalten kann. Beim klassischen Desensibilisieren, einem Standardverfahren der Verhaltenstherapie, das insbesondere gegen Ängste eingesetzt wird, stellt man zuerst eine Angsthierarchie auf. Man stellt die wichtigsten Situationen zusammen, in denen die Angst auftritt und ordnet sie dann in eine Rangreihe. Die Situationen, die am wenigsten Angst bereiten, kommen an erster Stelle, die schwierigsten zuletzt. Dann beginnt man mit der ersten, einfachsten Situation. Man konfrontiert sich mit der Angst solange, bis man sie bewältigt, d.h. bis man der Situation einigermaßen entspannt entgegentreten und adäquate Verhaltensweisen zeigen kann. Dann geht man zur nächstschwierigen Situation. Dieses Vorgehen wird sowohl in der Phantasie als auch in der Realität durchgeführt. Das wiederholte Hineinwagen in unsere Angst gleicht dem Baden im Drachenblut, wie wir es aus der Siegfriedsage kennen, wodurch Siegfried (bis auf eine kleine Stelle am Rücken) unverwundbar wird. Indem wir das Essentielle dessen integrieren, was uns zuvor fürchten gemacht hat - handele es sich dabei um noch nicht bewusste und ungelebte Seiten unseres Selbst oder um ungewohnte äußere Erfahrungen -, wird uns die Überwindung des Angst-Drachens zum Schatz des erweiterten Bewusstseins und neuer Lebensmöglichkeiten führen. Die hier im Drachen latent vorhandene positive, schöpferische Kraft kommt außer in einigen uns bekannten westlichen Drachentötergeschichten besonders in den Drachenvorstellungen Indiens, Chinas und Japans vor. Dort ist der Drache ein Symbol der Fruchtbarkeit und schöpferischen Kraft, des langen Lebens, des Glücks und der Weisheit. Der SiegNach hartem, oft fast tödlich verlaufendem Kampf vermag der Held diese feindliche Drachen-Macht zu überwinden, oft mehr mit Hilfe einer glücklichen Fügung, als durch eigene Kraft. Danach gewinnen sie einen Schatz (Gold, Königreich, Erkenntnis, Berühmtheit) und einen Partner mit denen sie sich in Liebe verbinden und ein Kind zeugen. Unter psychologischem Gesichtspunkt bedeutet dieser Schatz die Entwicklung und Erweiterung unserer Persönlichkeit, z.B. die Integration der gegengeschlechtlichen Anteile, der Zugang zu unserem schöpferischen Potential oder die Bewusstwerdung der Ganzheit des Selbst. Was für die "großen" Dachenkämpfe gilt, gilt auch für die kleineren Konflikte und Auseinandersetzungen im Alltag: Wenn wir es wagen, in einem positiven Sinne konfliktfreudiger zu werden, uns mutig in neue, noch unvertraute Situationen hinein zu begeben und immer wieder einen kleinen "Heldenkampf" zu riskieren, dann werden wir auch immer wieder einen Schatz finden: eine neue Erfahrung und Einsicht, wachsendes Selbstvertrauen und festere Identität, mehr Beziehungs- und Liebesfähigkeit und vor allem: das Gefühl, intensiv am Leben teilzuhaben. Interessanterweise hat sich in der Glücksforschung herausgestellt, dass wir die intensivsten Glückserfahrungen dann haben können, wenn wir uns in einer Situation befinden, die in vielerlei Hinsicht Aspekte der Heldenfahrt und des HEROS-Faktors aufweist. Der von dem amerikanischen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi geprägte Begriff des "Flow" (engl. Fließen) ist eine Bezeichnung für das Gefühl scheinbar mühelos fließender Bewegung, das man haben kann, wenn man ganz in einer schöpferischen Handlung aufgeht. Unter bestimmten günstigen Bedingungen werden Handeln und Bewusstsein eins. Das eigene Ich-Bewusstsein verschwindet, man ist nur noch mit allen Sinnen und allen Gedanken auf die Handlung und das Ziel ausgerichtet. Man ist so in die Tätigkeit vertieft, dass sie spontan und fast wie von selbst verläuft. Es ist eine glückselige Versunkenheit in das eigene Tun, obwohl es mit hohem Energieeinsatz und hoher Leistung verbunden sein kann. Die Energie fließt frei und man hat eine veränderte Zeitwahrnehmung: Ein Gefühl von Zeitlosigkeit, Ewigkeit, Gegenwärtigkeit oder auch ein Gefühl des sehr schnellen Verstreichens der Zeit mit dem Bedauern hinterher, dass es schon wieder vorbei ist. Die üblichen Grenzen des Selbsterlebens können dabei erweitert und ausgedehnt sein bis zu einem Erleben von Einheit und Verschmelzung mit der Situation, der Umwelt, den Mitmenschen zu einem großen, gemeinsamen Organismus. Ein Bergsteiger berichtet: Kein Ort, welcher in höherem Maße das Beste aus dem Menschen herausholt...als eine Klettersituation. Niemand hetzt dich, unter größten geistigen und körperlichen Anstrengungen den Gipfel zu erreichen...Deine Kameraden sind da, aber ihr fühlt ja alle dasselbe, ihr seid alle drin. Wem kann man im zwanzigsten Jahrhundert mehr vertrauen als diesen Leuten? Leute, welche dieselbe Selbstdisziplin anstreben wie du...welche die wahrhaft tiefe Beteiligung suchen...Ein solches Band zu anderen Menschen ist allein schon eine Ekstase.[4] Solche Aktivitäten, die Csikszentmihalyi "autotelisch" nennt - das meint eine sich selbst genügende Aktivität, die ihr eigenes Ziel ist, die in sich selbst befriedigend, lohnend, motivierend ist - hat er besonders bei Sportlern (z.B. Bergsteigern, Tänzern, Schachspielern), Wissenschaftlern und Künstlern untersucht. Sie können aber auch bei ganz alltäglichen Handlungen auftreten (z.B. beim Lesen, beim Kochen, beim geselligen Zusammensein mit Freunden, bei Hobbies etc.), wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Damit eine Handlung in einen solchen Flowzustand übergehen kann, muss sie eine gewisse Herausforderung an uns stellen, sie muss ein Ziel haben und in gewissem Rahmen überschaubar und geordnet sein. Die Tiefe der konzentrierten Erfahrung hängt mit der Klarheit der Ziele und der unmittelbaren Rückmeldung zusammen, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden und das Ziel erreicht werden kann. Wenn die Aufgabe zu leicht ist, dann langweilen wir uns, wenn sie zu schwer ist, blockiert uns die Versagensangst. Sie muss von uns bestimmte Fähigkeiten fordern, über die wir verfügen und die wir im Laufe der Erfahrung weiterentwickeln. Wir müssen lernen und wachsen, fähiger und geschickter werden können. Wenn sich diese Aspekte miteinander verbinden, dann erleben wir die schönsten Augenblicke unseres Lebens. Wir erleben die tiefe Befriedigung, schöpferisch, wirksam und fähig zu sein. Hohe Konzentration, Sammlung und Selbstversunkenheit verbinden sich mit Engagement, Freude und beglückendem Erfolgserleben. Wir genießen es, in einer solchen Situation unsere Fähigkeiten und unsere Lebendigkeit spüren zu können. Wir erleben dann, dass das Leben und unser inneres Selbst, wenn sie sich frei zu entfalten vermögen, im Innersten Freude und Ekstase sind.
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